zum Inhalt springen

14.03.2020: Unterwegs in Chandigarh

1 / 2
  • © Laura Jungen
  • © Laura Jungen

Gestern sind wir in Chandigarh angekommen. Ganz anders als die bisher besuchten indischen Städte besticht die vom Schweizer Architekten Le Corbusier geplante moderne Hauptstadt der nordindischen Bundesstaaten Punjab und Haryana vor allem durch ein gradliniges Straßennetz, Ordnung und Sauberkeit. Die in den 1950er Jahren realisierte Stadt ist aufgeteilt in klar voneinander abgegrenzte Sektoren, und bei einem ersten Streifzug merkt man bald: Die Einwohner Chandigarhs scheinen stolz zu sein auf ihre Stadt – und wie!

Heute steht einiges auf dem Programm: Das Highlight soll die Besichtigung des Kapitol-Komplexes werden, der architekturbegeisterte Touristen aus aller Welt anzieht. Zudem steht das Leisure Valley und die Universität „Punjab University“ auf dem Plan. Doch erstmal kommt alles anders als gedacht.

COVID-19, das Virus, dass uns schon die ganze Zeit im Nacken sitzt, macht uns (leider nicht zum letzten Mal) einen gewaltigen Strich durch die Rechnung – denn der Kapitol-Komplex ist komplett abgeriegelt und niemand kommt mehr rein. Vor allem keine Touristen (als die man uns irrigerweise einstuft). Die Stimmung ist inzwischen leicht gedrückt. Die Lage scheint sich zuzuspitzen und die weitere Durchführung der Exkursion steht auf der Kippe.

Zum Glück haben wir ortskundige Unterstützung bekommen. Seit dem Morgen begleitet uns Professor Surinder Aggarwal, ein guter Freund von Frau Kraas, und seines Zeichens auch selbst angesehener Stadtgeograph. Zufälligerweise wohnt er nicht unweit von Chandigarh. Wer wäre besser geeignet uns die Stadt näher zu bringen, in der er persönlich auch selber mehrere Jahre gelebt hat? Mit Professor Aggarwal brechen wir vom abgeriegelten Kapitol-Komplex, von dem wir nur aus der Ferne einen Blick auf das Sekretariat erhaschen können, Richtung Universität und PGIMER (Postgraduate Institute of Medical Education & Research) im Nordwesten der Stadt in Sektor 12 und 14 auf. Hier folgt ein kleiner Rundgang über das Universitätsgelände, bei dem wir äußerst kritisch von allen Seiten beäugt werden. Immerhin können wir hier die brutalistische Architektur, die uns im Kapitol-Komplex erwartet hätte, teilweise nachvollziehen, denn die Universitätsgebäude wurden ebenfalls im gleichen Stil von Le Corbusier (sowie seinem Cousin) geplant.

1 / 2

Von hier aus erkunden wir die Stadt weiter in Kleingruppen. Jede nimmt sich einen jeweils anderen Sektor zu analysieren vor, und abschließend vergleichen wir diese. Dabei fällt auf, wie sehr sich die Sektoren doch voneinander unterscheiden.

In Sektor 9 säumen pompöse Solitärgebäude die sauberen, begrünten Straßen. Die beeindruckenden Zufahrtstore sind teils von Pförtnern bewacht. Privatschulen und hochpreisiges, teilweise auch internationales Angebot in der zentralen Einkaufsstraße prägen das Zentrum des Sektors. Den Schildern an den Toren zufolge wohnen hier primär Anwälte, die auch am High Court beschäftigt sind. Direkt nebenan befindet sich der Sektor 17, der als City Centre der Stadt fungiert. Die recht hohen Gebäude im Zentrum sind geprägt von Einzelhandel und Dienstleistungsangeboten in den ersten beiden Stockwerken, darüber allerdings herrscht gähnende Leere. Die Betonfassaden wirken verwittert und schäbig. In Sektor 21 finden sich zahlreiche Ein- und Mehrfamilienhäuser, hier wohnen allem Anschein nach hauptsächlich Familien. Der Sektor scheint im Umbruch zu sein, denn an allen Ecken sieht man rege Modernisierungs- und Sanierungsarbeiten. Sektor 35 wiederrum, in dem sich unser Hotel befindet, hat sich in erster Linie als Gastronomie- und Ausgehsektor mit vielen Hotels etabliert.

Andererseits gibt es doch wieder Aspekte, die die Sektoren gemeinsam haben, wie beispielweise Bildungseinrichtungen, zahlreiche Parks und Kinderspielplätze sowie Einkaufsmöglichkeiten, die in jedem einzelnen Sektor zu finden sind. Ursprünglich wurde die Stadt einmal als Fahrrad- bzw. Fußgängerstadt geplant, erzählte Professor Aggarwal uns noch am Morgen. Davon findet man überall in der Stadt noch Überbleibsel, wenn man genau hinschaut. Neben den sporadisch befahrenen Fahrradwegen findet man beispielsweise auch öffentliche Luftdruckmesser, die längst ihre besten Zeiten gesehen haben. Inzwischen hat sich die Stadt nämlich offensichtlich zu einer Hochburg des motorisierten Individualverkehrs entwickelt – kein Wunder bei den breiten Straßen!

Bei der Rekapitulation am Abend wird noch einmal deutlich, wie sehr sich Chandigarh doch von „typischen“ indischen Städten wie Delhi unterscheidet – insbesondere auch in Hinblick auf den Umgang der Einwohner mit der Stadt. Der Verkehr scheint geregelter, die Grünflächen sind gepflegter. Im Leisure Valley, der grünen Lunge der Stadt, und in anderen Parks duften die Blumen, Menschen joggen und fahren Rad. Die generelle Atmosphäre scheint im Vergleich deutlich ruhiger. Auch das ist Indien!

Laura Jungen


 

Chandigarh

Chandigarh Universität © Frauke Kraas

Den fünften und sechsten Exkursionstag verbrachten wir in Chandigarh, einer Stadt, die vom Stadtplaner und Architekten Le Corbusier in den 1950er Jahren geplant wurde. Es handelt sich hierbei um die einzige realisierte Stadtplanung des visionären Architekten.

Ein abendlicher Spaziergang im Leisure Valley machte klar, dass es sich bei Chandigarh um eine ganz besondere indische Stadt handelt. Das Leisure Valley, ein Park, der sich 8 Kilometer vom Norden bis in den Süden der Stadt erstreckt, ist durch eine Vielfalt von verschiedenen Gärten, wie zum Beispiel den Hibiskusgarten, den Duftgarten, den Rosengarten, den japanischen Garten und viele mehr geprägt. So gepflegt sind selbst die meisten öffentlichen Parks in Deutschland nicht!
Die brutalistische Architektur, die in Chandigarh omnipräsent ist, gibt dem Stadtbild eine einzigartige Atmosphäre. Da die Stadt Chandigarh ein neues und unabhängiges Indien darstellen sollte, wurde für die Bebauung der Gebäude der moderne Architekturstil des Brutalismus genutzt, um somit die postkoloniale und vielversprechende Zukunft des Landes zu verdeutlichen.

Brutalismus polarisiert und ist sicherlich nicht der beliebteste Architekturstil, jedoch ist die Gelassenheit, die die simplen geometrischen Formen der Gebäude ausstrahlen, prägend für das Flair Chandigarhs.

Die Simplizität der Bauten strahlt eine Ruhe aus, wie sie in indischen Städten kaum zu finden ist. Der Kapitolkomplex Chandigarhs (der bei unserem Aufenthalt leider geschlossen war) macht die Stadt zur ‚‚Pilgerstätte‘‘ für Architekten und stellt den Höhepunkt des Spätwerkes von Le Corbusier dar.

Die ‚‚City Beautiful‘‘, wie Chandigarh auch genannt wird, wird in jeder Hinsicht diesem Namen gerecht! Die Bewohner Chandigarhs sind stolz auf ihre Stadt. Äußerst neugierig, freundlich und hilfsbereit wurden wir als ‚‚Touristen‘‘ in dieser Stadt empfangen.

Die autonomen Sektoren, die von Le Corbusier geplant wurden, sind selbstversorgend, das heißt, dass die Bewohner ihre Grundbedürfnisse innerhalb des Sektors befriedigen können (Nahversorgung, Ärzte, Bildung etc.). In jedem Sektor findet man zudem Grünflächen, die zu gemeinschaftlichem Miteinander der Bewohner einladen. Als Unionsterritorium steht Chandigarh nämlich symbolisch für Zusammenhalt, Versöhnung und Frieden.

In Chandigarh setzt Le Corbusier seine Utopie in Realität um. Nach unserer Einschätzung, die wir während eines zweitägigen Aufenthalts in Chandigarh gewinnen konnten, ist Le Corbusier die Umsetzung seiner Stadtplanung durchaus gelungen. Die Ruhe und Sauberkeit, die Chandigarh ausstrahlt, ist bewundernswert (besonders im indischen Kontext einmalig) und somit hebt sich die ‚‚City Beautiful‘‘ vom alltäglichen Großstadttrubel indischer Städte deutlich ab und macht Chandigarh zu einer ganz besonderen Stadt.

Frederik Metzger