Besuch bei der Downtown Development Authority in Miami (M.Willkomm)
Exkursion Florida (USA) 2015
Anders als die Bundesrepublik Deutschland zeichnen sich die USA noch immer durch ein beachtliches Bevölkerungswachstum aus. Stadt- und Regionalentwicklung verlaufen hier nicht zuletzt deshalb, aber auch aufgrund anderer Ansprüche der Bevölkerung und anderer politisch-institutioneller Rahmenbedingungen sehr unterschiedlich. Viele Südstaaten der USA, wie beispielsweise Florida, zeichnen sich zudem nicht nur durch ein besonders attraktives Klima aus, welches sie für Landwirtschaft, Tourismus und als Rentnerdomizil besonders interessant macht, sie sind zudem durch die Nähe zu vergleichsweise armen Ländern des Globalen Südens besonders von den Herausforderungen von Einwanderung betroffen.
Die 14-tägige Exkursion im September 2015 widmete sich den übergeordneten Fragestellungen:
- Mit welchen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, politischen und ökologischen Dynamiken ist Florida derzeit konfrontiert?
- Welche Ableitungen lassen sich hieraus generell für Wissenschaft (Erklärungsansätze) und Politik im Bereich Stadt- und Regionalentwicklung treffen?
- Wie gehen der Staat und seine Akteure hiermit um?
Um sich mit verschiedenen Fragestellungen optimal auseinandersetzen zu können, wurden verschiedene Regionen Floridas bereist. Die Route führte von Miami nach Key West, im Anschluss über die Everglades nach Naples, weiter nach Cocoa Beach (Cape Canaveral) und über Sunrise zurück nach Miami. An den jeweiligen Standorten haben die Studierenden passend zu ihren bereits im Voraus theoretisch bearbeiteten Themen Ortstermine organisiert, um sich auch praxisnah mit den Fragestellungen auseinander setzen zu können.
Der thematische Einstieg erfolgte mit einem Termin zur Verkehrsgeographie Floridas, am Beispiel des Flughafens von Miami. Hier treffen Schienen-, Luft- und Automobilverkehr aufeinander, was zum einen logistische Herausforderungen mit sich bringt, zum anderen aber auch wirtschaftliche Chancen bietet. So konnte Miami erst durch die Erschließung für die Masse ein pulsierendes Wirtschaftszentrum werden. Das Thema Verkehr spielte auch bei dem darauf folgenden Termin eine wichtige Rolle, als der Gruppe bei der Downtown Development Authority verschiedene Projekte der Stadtentwicklung vorgestellt wurden.
Die eingangs angesprochenen Herausforderungen der Migration wurden im Rahmen einer Begehung durch Little Havanna mit der Kulturanthropologin Corinna Moebius diskutiert. Dabei zeigte sich die starke Prägung durch kubanische Einwanderer deutlich. In verschiedenen Einwanderungswellen kamen in den letzten Jahrzehnten nicht nur wohlhabende Exilkubaner, sondern auch Migranten in prekärer Lebenslage nach Miami. Segregation spielt vor dem Hintergrund der verschiedenen Migrantengruppen eine starke Rolle und prägt das Stadtbild Miamis.
Weitere Ortstermine in Miami waren eine Stadtführung mit anschließendem Expertenvortrag zum Thema Art Déco – ein prägendes Stilelement vor allem in der Architektur und Identität von Miami Beach – und ein Besuch bei der National Oceanic and Atmospheric Administration. Hier durften wir bei einer täglich stattfindenden Besprechung („weather briefing“) teilnehmen, in der die aktuelle meteorologische Situation und darauf aufbauende Zukunftsmodelle analysiert wurden. Aus den Daten konnte die Hurrikane-Gefahr für die nächsten Tage abgeschätzt werden. Es wurde deutlich, wie wichtig eine rechtzeitige Einschätzung des Risikos und der räumlichen Verortung für verschiedene Akteure sind.
Als nächster Aufenthaltsort stand Key West an. Schon während der Fahrt über den Overseas Highway wurde die wirtschaftliche Bedeutung des Tourismus für die Region deutlich. Auf den Keys, die früher vom Abwracken von Schiffen und der Fischerei lebten, ist der Tourismus heute der wichtigste Wirtschaftszweig. Motorradfahrer, Wochenendurlauber, Taucher, Kreuzfahrt-Touristen und andere Sonnenhungrige bieten die ökonomische Grundlage. Bei einer Tour mit Segelboot, Kayaks und Schnorchelausrüstung konnten wir uns selber von der naturräumlichen Gunst des Archipels überzeugen.
Darüber hinaus stand das Thema Staatlichkeit und regionale Souveränität auf der Agenda. 1982 errichteten die USA einen Grenzposten auf dem Overseas Highway, um Schmuggel und Migration aus Kuba aufzuhalten. Durch diesen Grenzposten verlängerte sich die Anreise zu den Keys enorm, wodurch der Tourismus litt, was zu wirtschaftlichen Einbrüchen führte. Als Reaktion auf die Errichtung des Grenzpostens und die damit verbundene gefühlte Ausgliederung aus den USA erklärten die Keys ihre Unabhängigkeit und gründeten die „Conch Republic“. Dieser Vorgang war nicht offiziell und wird heute eher als Auflehnung gegen die Bürokratie verstanden. Eine quantitativen Erhebung auf den Straßen von Key West ergab, dass sowohl Einheimische wie auch Touristen heute nicht mehr viel über die Souveränität und das Lebensgefühl („sovereign state of mind“) der Conch Republic und deren Einflüsse auf die Region wissen.
Nach dem Aufenthalt auf den Keys stand ein weiterer einzigartiger Naturraum auf dem Programm: die Everglades. Durch verschiedene Nutzungsarten kommt es hier immer wieder zu Konflikten (u.a. zwischen der Agrarproduktion und urbanen Entwicklung verbunden mit infrastrukturellen Erweiterungen vs. ökologischer Ausgleich und Gewässerschutz/Erhalt des Ökosystems). Zu verschiedenen Themen fanden verschiedene Expertentermine statt. Im Everglades Wetland Research Park, der zur Florida Gulf Coast University gehört, wurden verschiedene Forschungsfelder näher erläutert – darunter Funktionen, Veränderungen (z.B. durch Klimawandel), Erhalt und Neugestaltung von Feuchtgebieten. Außerdem stellte man uns das Corkscrew Swamp vor, eine Forschungsstätte des Institut und Naturschutzgebiet. Die landwirtschaftliche Perspektive lernten wir durch einen Expertentermin beim Institute of Food and Agricultural Sciences der University of Florida näher kennen. Gerade der Anbau von Zuckerrohr ist aus wirtschaftlicher Sicht wichtig für die Region, kann aber nach Aussage des Experten im Einklang mit der Natur geschehen. Eine weitere Perspektive auf die Everglades stellte ein Besuch im Reservat der Seminolen dar. Die Seminolen sind eine Volksgruppe mit bewegter Geschichte. Sie leben inzwischen seit mehreren Generationen unter anderem im nördlichen Teil der Everglades. Neben den bereits erwähnten Konflikten spielen für sie auch Diskriminierung und territoriale Themen eine wichtige Rolle. Am Standort Everglades wurde durch die verschiedenen Termine, Experten und Lösungsansätze verdeutlicht, dass Mensch-Umwelt-Konflikte hier zum Tragen kommen. Die Probleme sind den verschiedenen Akteuren bewusst, und durch interdisziplinäre Zusammenarbeit werden Lösungsansätze gesucht und ihre Umsetzung verfolgt.
Neben den bereits in Miami behandelten Migranten spielen auch Binnenmigranten eine große Rolle für die Wirtschaft und die Stadtstruktur Floridas. Hier sind vor allem die Altersmigranten zu nennen, die Thema am Standort Naples waren. Sogenannte „Retirement Communities“ sprechen vor allem wohlhabende weiße Rentner aus dem Nordosten der USA an. Vor Ort kommt es durch diese Zuwanderung zu einem Einfluss auf die Demographie, was die Wirtschaftsstruktur stark prägt. Davon betroffen sind in erster Linie der Dienstleistungssektor (Gesundheitsdienstleistungen), der Immobilien- und Bausektor und der Einzelhandelssektor.
Nach einer langen Fahrt von der West- zur Ostküste Floridas stand der wirtschaftliche Strukturwandel der sogenannten „Space Coast“ im Fokus. Mit der Einstellung des Space-Shuttle-Programms 2011 endete eine Ära der US-amerikanischen Raumfahrt. Damit verbunden sind Befürchtungen um den Verlust von Arbeitsplätzen, Wirtschaftskraft und regionaler Identität. Dazu kam die gesamtwirtschaftliche Lage in den USA, die zu dieser Zeit tief in einer Rezession steckten. Aus ähnlichen Einbrüchen in der Vergangenheit (z.B. Einstellung des Apollo-Programms in den 1970er Jahren) konnten jedoch Lehren gezogen werden, und so fand schon vor 2011 eine Diversifizierung der Wirtschaftsstruktur statt. Hier sind vor allem der Bildungs- und Gesundheitssektor und private Raumfahrtprojekte zu nennen, sodass die Folgen weniger schwer waren als in der Vergangenheit und die Region sich schneller erholen konnte. Der in Florida stets präsente Tourismussektor kommt auch hier wieder zum Tragen. So können im Kennedy Space Center einige Einrichtungen der NASA sowie Space-Shuttle und im amerikanischen Stil inszenierte historische Ereignisse und Zukunftsvisionen bestaunt werden.
Im Anschluss ging es in Sunrise um den Einzelhandel. Am Beispiel des Sawgrass Mills-Einkaufzentrums (mit ca. 223.000 m² Verkaufsfläche das größte Shopping-Center Amerikas) und mit dem verbundenen Luxus-Outlet „The Colonnade“ wurde die wirtschaftliche Bedeutung für die Region aufgezeigt. Durch die Nähe zu Fort Lauderdale und Miami werden viele Touristen und damit verbunden Kaufkraft angelockt. Vor allem Touristen aus Lateinamerika spielen hier eine wichtige Rolle. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen sich die Einkaufzentren stets weiterentwickeln und ihr Konzept an dynamische Konsum- und Verhaltensmuster anpassen, um einem Lock-In zu entgehen.
Neben den anthropogeographischen Themen wurden auch Bereiche der physischen Geographie während der Exkursion behandelt. Vor allem die Meeres- und Küstenmorphologie spielten immer wieder eine Rolle, da die Küsten an verschiedenen bereisten Standorten unterschiedlich geprägt wurden. Von Barriereinseln an der Westküste, wo ständige Aufschüttungen die Abtragung verhindern sollen, bis zu den Riffen der Ostküste stellen die Küstenregionen einen vielseitigen Lebensraum dar. Das empfindliche Ökosystem der Küstenregion leidet an den Folgen des Tourismus: Eintrag von Schadstoffen, Verschmutzung durch Müll, Beschädigung von Korallenriffen und bauliche Eingriffe sind nur einige der zu nennenden Faktoren.
Durch die diversen Themen während der Exkursion konnte der Süden Floridas aus verschiedenen Richtungen beleuchtet werden und ein tiefergehender Gesamteindruck entstehen. Klima und Naturraum begünstigen den Tourismus, von dem viele verschiedene Sektoren stark profitieren und der somit die Wirtschaft der ganzen Region positiv beeinflusst. Demgegenüber stehen ökologische Probleme, wie sie vor allem in den Everglades und den Küstenregionen zu beobachten sind.