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Nachhaltigkeit & St. Moritz – miteinander vereinbar?

Drohnenaufnahme von St. Moritz mit Blick auf St. Moritz-Bad (vor dem See) und St. Moritz-Dorf (hinter dem See) sowie dem Kempinski Hotel im Vordergrund (rechts von der Hauptstraße). Die Polowiese und der Campingplatz befinden sich unter bzw. hinter der Drohne) © Lukas Kienzler

Mit dem großen Begriff „Nachhaltigkeit“ im Gepäck verbrachten wir die Nacht vor dem offiziellen Praktikumsbeginn im Zelt vor St. Moritz, mit Blick auf das Fünf-Sterne Grand Hotel des Bains Kempinski. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir die Ortschaft selbst noch nicht betreten und konnten uns die Gegensätze, die uns in den nächsten 10 Tagen erwarten sollten, nur ausmalen.

Unser Thema grenzten wir nach reichlicher Überlegung auf die Nachhaltige Stadtentwicklung in St. Moritz mit Chancen und Maßnahmen für eine touristische Zukunft ein. Für tiefgreifende Einblicke in die Stadtentwicklung und den Tourismus von St. Moritz führten wir schließlich sieben qualitative Interviews durch. Während uns zwei Hoteliers ihre Perspektive auf Nachhaltigkeit in der örtlichen Hotellerie aufzeigten, konnten wir auch die Ansichten von vier Mitarbeitenden verschiedener Abteilungen der Gemeindeverwaltung einholen. Ein weiteres Interview mit einer Mitarbeiterin von Graubünden Ferien, der touristischen Marketingorganisation des Kantons Graubünden, komplettierte für uns die detaillierte Momentaufnahme sowie unsere qualitativen Daten.

Da die Perspektive der Touristen mit der von uns gewählten qualitativen Methodik nicht abgedeckt wurde, ergänzten wir nach einigen Tagen eine Onlineumfrage. Diese verteilten wir primär direkt im St. Moritzer Ortskern. Wir konnten 104 Teilnehmer mit vollständig ausgefüllten Fragebögen verzeichnen, darunter 75 Touristen und 29 Bewohner. Aufgrund der aktuellen Relevanz von „Nachhaltigkeit“ in vielen gesellschaftlichen Bereichen gestaltete sich die Akquirierung von Umfrageteilnehmern sehr angenehm und wir spürten meistens großes Interesse und Entgegenkommen. In über 70% der Fragebögen wurden die beiden nicht verpflichtenden offenen Textfragen ausgefüllt, in denen sich die Teilnehmer zu Nachhaltigkeitsmaßnahmen in ihrem Alltag und zu solchen in St. Moritz äußern konnten. Dabei fällt vor allem die immense Vielfältigkeit der Antworten ins Gewicht, wobei die Beruhigung des Autoverkehrs im Ort sowie der Ausbau des ÖPNV mit am meisten genannt wurden. Besonders der hohe Autoverkehr in den touristischen Hauptsaisons stellt ein großes Problem dar; es führt nicht nur zu mehr Abgasstoffen im Ort, sondern auch zu einem Kollaps der Verkehrssituation.

Während uns vor allem die Gespräche mit Gemeindevertretern ein fundiertes Bewusstsein für Nachhaltigkeitsmaßnahmen in St. Moritz vermittelten, gab es ebenso offensichtliche konträre Bilder zu der Thematik. Ein plakatives Beispiel stellt der Betrieb der nicht überdachten Eisarena Ludains dar, welche westlich an den St. Moritzersee grenzt und bereits ab Juli geöffnet ist. Hier wird überschüssiges Eis am Ufer zum Inn abgeladen und führte so bei unserer ersten Besichtigung des Ortes zu einem skurrilen Bild. Für die touristische Zukunft der Gemeinde ist der Erhalt des Wintersports ausschlaggebend. Beispielsweise findet der Snow Polo Winter Cup mit Pferden auf dem St. Moritzersee statt. Im Kontext der globalen Klimaerwärmung ergibt sich hier die Herausforderung, die Eis-und Schneemassen im alpinen Raum der Gemeinde zu erhalten und für das Turnier zu präparieren.

Während St. Moritz sich mit den genannten Punkten auseinandersetzt, wirken durch die starke Abhängigkeit vom Tourismus dauerhaft äußere Faktoren auf die Gemeinde ein. Die bisherigen Erkenntnisse der Interviews zeigen, dass beide Hauptsaisons (Winter und Sommer) große Herausforderungen mit sich bringen. Während die Peak-Tourismuszeiten im Winter und Sommer die Gemeinde teilweise an ihre Grenzen bringt, kennzeichnen sich die Nebensaisons durch eine teils leere und geisterartige Erscheinung der Gemeinde.

Obwohl der Ortschaft viele Herausforderungen bevorstehen, haben wir auch mit Personen gesprochen, die neue Impulse und Initiativen für die Gemeinde fördern. Ein wichtiger positiver Aspekt ist die Bereitschaft der Gemeinde und seiner Organisationen, Nachhaltigkeitskonzepte für die touristische Zukunft anzuwenden. Eine Person mit Ideen für eine nachhaltige Zukunft lernten wir bei einem Erkundungsgang zum Olympiastadion von St. Moritz durch Zufall kennen. Diese Person schafft einen sozialen Austauschort im Bereich Kunst, Gastronomie und Soziales für die Gemeinde. Der Ort bietet eine Möglichkeit, mit „humanen Preisen“ in Kontakt mit anderen Personen der Gemeinde zu treten und eröffnet somit gleichzeitig eine Chance, die jüngere Generation der Gemeinde zu erreichen.

Muottas Muragl mit Exkursionsgruppe und letzte Sonnenstrahlen nach einem langen Forschungstag © Angelika Mikusz

Als eindrucksvoll tat sich für uns vor allem die bereits angesprochene Bereitschaft für Veränderungen hervor und die schönen Landschaften des Alpenraums. Dabei lässt sich der von St. Moritz gewählte Slogan „Top of the World“ teilweise als Mantra für ein Mit-der-Zeit-gehen deuten, welches St. Moritz aus rein klimatischer Sicht nicht zwangsweise umsetzen müsste. Wir sind uns sicher, dass die Offenheit und Zielstrebigkeit vieler Personen der Gemeinde der erste Meilenstein sind, um eine nachhaltige Zukunft in St. Moritz zu verwirklichen. Wir sind dankbar für die Hilfsbereitschaft der Akteur*innen, unserer Praktikumsgruppe und für die Initiierung und Leitung des Praktikums durch Frau Prof. Dr. Frauke Kraas. Wir freuen uns auf die weitere Auswertung unserer Forschungsergebnisse in den kommenden Monaten und auch darauf, gegebenenfalls Erkenntnisse für eine nachhaltigere Zukunft der Gemeinde St. Moritz beizusteuern. Und noch ein Tipp, falls unsere Blogeinträge jemanden begeistern sollten, St. Moritz selbst besuchen zu wollen: Die Jugendherberge St. Moritz bietet faire Preise, die sich besonders bei einer frühzeitigen Buchung lohnen!                

Von Natalia Cena Wernicke und Lukas Kienzler