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(B)logbuch des Captains: Eine Odyssee von Pascal Jeff Beutgen

Endlich geschafft! © Beutgen 2021

Heute ist Samstag, der 27.03.2021. Morgen ist es so weit: Es geht wirklich auf Realexkursion. Wer hätte das denn ahnen können? Inmitten einer globalen Pandemie fahren wir für zwei Wochen ins Ruhrgebiet. Bislang weiß ich noch nicht so recht, was ich davon halten soll. Aber naja, was soll schon schief gehen?! Ich schaue auf die Uhr: 21:15 und Doro schreibt eine WhatsApp in die Gruppe: „Leute, ich will euch nicht stressen, aber wollen wir nicht doch die Bahn um 7.40 nehmen?“ Ich denke mir nur: „Toll, noch eine Stunde weniger zu schlafen“ und antworte mit einem augenrollenden „Ja, ist in Ordnung“. Während ich die Nachricht schreibe, fällt mir ein, dass ich noch gar nichts für die Reise gepackt habe. Als ich völlig motiviert von der Couch aufstehe, während der entspannte Tatort von letzter Woche läuft, stelle ich fest, dass alle Klamotten in der Wäsche sind. „Das kann ja heiter werden“, denke ich mir und mache noch eine letzte Buntwäsche. Nach den üblichen 2.05 Stunden hänge ich die Wäsche auf und schaue auf die Uhr: „Hmmm, schon fast halb 12, ich sollte schlafen gehen. Immerhin klingelt der Wecker um 6:00 Uhr“. Ich will mich gerade hinlegen, als ich plötzlich einen Geistesblitz habe: „Heute Nacht wird die Uhr umgestellt, danke EU!“ Genervt mache ich die Augen zu und versuche zu schlafen…

Logbuch des Captains, Tag 1:

Guten Morgen Welt. Der erste Tag startet genauso, wie ich ihn mir vorgestellt hatte: Ich stehe wie ein Packesel morgens um 7:00 Uhr am Chlodwigplatz und warte auf die 16, um zum HBF zu fahren. Dort angekommen stelle ich mir drei grundlegende Fragen: Wo bekomme ich einen großen, schwarzen Kaffee? An welches Gleis muss ich? Und was mache ich hier eigentlich? Um 10:00 Uhr soll ich an der Jugendherberge in Dortmund sein, jetzt ist es 7:35 Uhr. Und da ist auch schon Doro. Sie hat Angst, dass wir zu spät kommen… Seit einer Stunde fahren wir jetzt und plötzlich passiert es: Irgendeine Störung am Gleis und wir müssen 30 Minuten warten. Doro ist froh und grinst süffisant unter der Maske – ich sehe das! –, denn genau das war der Grund, wieso sie früher loswollte. Nachdem wir den super barrierefreien (LÜGE!) Bahnhof in Dortmund mit jeweils 15 kg Gepäck und Fahrrad überwunden haben, kommen wir in der Jugendherberge an. Wer sind all diese Menschen? Seit einem Jahr hatte ich keine soziale Interaktion mehr und sehe meine Seminar-Kommilitonen zum ersten Mal. Äußerst merkwürdig! Uns werden die Zimmer zugeteilt und ich teile mir ein Zimmer mit dem guten Herrn Hoppe, einem Freund, den ich seit knapp sechs Jahren kenne. Dabei fing die Freundschaft wie eine klassische Männerfreundschaft an: - Einführungsseminar Geographie 2015, ich zitiere: „Hallo, ich bin Pascal.“ „Hallo, ich bin Niclas. Ich studiere Geschichte und Geographie und du?“ „Joa, ich auch. Bis nächste Woche“. Beste-Unifreundschaft-Allerzeiten! Nachdem die Sachen liebevoll in den Schrank geschmissen wurden, gehen wir auf Erkundungstour, um Fragen an den Raum zu stellen und zu beantworten. Ich glaube, ich bekomme einen Sonnenbrand. Wir haben März!

Logbuch des Captains, Tag 3:

Es ist der dritte Tag in Dortmund und der dritte Tag, an dem ich einen Sonnenbrand bekomme. Mittlerweile habe ich bei meinem Dermatologen meines Vertrauens mehr Stempelkarten komplettiert als beim Backwerk. Ah Backwerk! Die 2,5 unter den Kaffeeläden, genauso wie mein Abi-Schnitt; genauso wie mein Bachelorschnitt. Man, die Mittelmäßigkeit zieht sich irgendwie durch mein Leben. Wenn ich nur nicht so faul wäre, aber ich schweife ab. Niclas und ich erkunden Dortmund und nach 20 Minuten radeln tun mir schon die Knie weh. Diese verdammte Kippscholle! Dennoch scheinen die Einheimischen ganz nett und besonders kontaktfreudig zu sein: Wenn man mal nicht um Geld angebettelt wird, wird man eben beleidigt, weil man auf dem Fahrweg fährt und eine Maske trägt. Ja, ich verstehe es auch nicht, aber naja. Immerhin ist die Altstadt schön: Wäre nur nicht diese doppelstrukturelle Fragmentierung! Ich bin ja ein Fan von lokaler Küche, aber ein Currywurst-Büdchen neben einer über knapp 1000 Jahre alte Kirche, die öfters wiederaufgebaut wurde, als ich im Ruhrgebiet war? Das muss nun wirklich nicht sein. Trotzdem bestelle ich mir eine Currywurst – ist ja die beste in Deutschland – und nehme den Schärfegrad 4: „ein wenig angeben.“ Ich will es echt nicht „drauf ankommen lassen (Schärfegrad 6)“. Die Currywurst ist verputzt und der Arbeitsauftrag für den Tag ist erledigt. Nach einem digitalen Spieleabend lege ich mich ins Bett und denke mir: „Ist ja gar nicht so verkehrt hier, aber eine Tablette gegen Sodbrennen wäre jetzt nicht schlecht.“

Logbuch des Captains, Tag 7:

Die letzten Tage habe ich nicht geschrieben, denn ich musste mich mental auf etwas vorbereiten: Ostersonntag! Und damit meine ich nicht das alljährliche Fischessen bei Onkel Jupp und dem Rest der Familie (was auch kräftezehrend, aber lecker ist), sondern eine Radtour, die für mich eigentlich nicht machbar ist. Von Dortmund nach Duisburg und dabei noch einige Sehenswürdigkeiten der Industriekultur bewundern? Ja klar, wieso nicht! Sind ja nur 80 km Weg und 4 Grad draußen… Und das letzte Mal bin ich vor 15 Jahren richtig Fahrrad gefahren. Dann starten wir mal: Die ersten Kilometer laufen ganz gut, bis plötzlich – irgendwo bei Bochum – der erste Mitstreiter beim Fahren fast sein Augenlicht verliert. Nach einer halbherzigen, offenen Operation steht fest: „Der Jung muss ins Krankenhaus!“ Erst waren wir 12, jetzt 10. Es geht weiter und klammheimlich verabschieden sich die nächsten Mitstreiter beim Anblick der nächsten Kippscholle. Diese verdammte KIPPSCHOLLE! Aber die Versuchung, in die Bahn einzusteigen, war einfach zu groß. Und Tschüss: da waren es nur noch 8. Nach einer zehnminütigen Zwangspause (irgendjemand hat seine Bremse verloren oder so) geht’s weiter und plötzlich sehen wir zwei unserer Komplizen: Das Auge ist noch drin und alles ist wieder im Lot! Der perfekte Zeitpunkt für einen echten, italienischen Kaffee. Währenddessen bemerke ich, dass ich wieder Sonnenbrand im Gesicht habe. Wie ist das nur möglich??? Anscheinend wirkt Sonnenschutzfaktor 50 nicht mehr bei meiner Alabasterhaut! Inzwischen sind wir 6 Stunden unterwegs und mein altes, rostiges Fahrrad fährt sich so, als würde ich durch Treibsand fahren. Ist dies das Härteste, was ich je in meiner Zeit an der Universität zu Köln für CP machen musste? Ich habe eine mündliche Prüfung in physischer Geographie bestanden und das große Latinum an der Uni geschafft, da werde ich das doch jetzt auch noch schaffen, oder? Irgendjemand sagte in dieser Exkursion: „Fördern durch Fordern!“ Was soll ich sagen? Nach über 6 Stunden und 80 km kommen wir an der Jugendherberge in Duisburg an und ich könnte ein Schwein auf Toast essen. Es gibt Nudeln mit Hackfleischsoße und dazu ein kaltes Glas Apfelschorle, auch gut! Dann kann ja der zweite Teil der Exkursion starten. Ich bin gespannt. Ich werde übrigens nie wieder Fahrrad fahren!

Pascal Jeff Beutgen

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© Frauke Kraas
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