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Große Exkursion Island 2018: „Entwicklungsstrategien und -probleme eines europäischen Peripherraums im Globalisierungsprozess“

Das erste Gruppenbild vor dem Hengifoss © Benjamin Hennig

Vorlesungen und Seminare vermitteln Wissen und Verständnis von geographischen Inhalten, Konzepten, Theorien und Modellen in zumeist abstrakter Form. Exkursionen und Praktika dienen darüber hinaus dazu, konkrete Inhalte vor Ort auch unmittelbar erfahr- und verstehbar zu machen. Sie erlauben zudem, Fachinhalte mit Zeit (ohne die engen, festen Seminarzeiträume!) und in kontinuierlicher Folge (eben 14 Tage Lehre am Stück!) zu diskutieren. Keine andere Lehrveranstaltung ermöglicht ein so dermaßen intensives, unmittelbares gemeinsames Lehren und Lernen wie Exkursionen. Und in kaum einer anderen Lehrveranstaltung ist so tiefe Netzwerkbildung zwischen Studierenden möglich – oft halten die Verbindungen fürs gesamte Berufs-, teils auch Privatleben! In der direkten Anschauung und Auseinandersetzung mit Phänomenen und Prozessen im Raum, mit gesellschaftlichen, ökonomischen, politischen Strukturen und Akteuren, auch praxisorientiert zu lehren, zu lernen und zu forschen gehört zum Geographie-Studium so unabdingbar hinzu wie in den Naturwissenschaften die Arbeit im Labor bzw. in Gesellschafts- und Geisteswissenschaften die Auseinandersetzung mit Worten und Textdokumenten.

Im Rahmen des Studiums führt eine Große Exkursion zwei Wochen lang zumeist ins Ausland. Die Exkursionsziele und -schwerpunkte variieren. Studierende werden unter der Leitung und akademischen Begleitung einer Lehrenden mit geographischen Schwerpunktthemen vertraut gemacht. Auch kleine eigene Erhebungen (Kartierungen, Gespräche, Interviews) werden durchgeführt. Ziel ist es entsprechend, dass die Studierenden unmittelbar vor Ort mit geographischen Fragestellungen und Realitäten der Mensch-Umwelt-Forschung konfrontiert werden und eigene praxisnahe Erfahrungen sammeln.

Für 2018 fiel die Wahl des Exkursionsziels auf Island, das ich seit 37 Jahren kenne und wohin ich bisher vier Exkursionen geleitet habe. Der inhaltliche Schwerpunkt richtete sich auf die Entwicklungsstrategien und -probleme dieses europäischen Peripherraums im Globalisierungsprozess. Einem glücklichen Umstand zu verdanken war es, dass mein langjähriger Kollege Benjamin Hennig, inzwischen Full Professor an der University of Iceland in Reykjavik, die Exkursion gemeinsam mit mir zu leiten bereit war. Sehr gut weiterhin, dass die logistische und organisatorische Umsetzung der Reise wieder in der Hand von zwei hocherfahrenen Spezialisten liegen konnte: Bernd Spreckels und Guðmundur Steingrímsson. Zudem stand uns Tina Gotthardt mit ihrer besonderen Insiderexpertise zum isländischen Tourismus und der Pferdewelt zur Verfügung.

Wir wählten eine Route aus, die im Osten der Insel startete und uns quer durchs Hochland an geologisch-geomorphologisch spannenden Orten sowie einem der größten Energieprojekte und einem der siedlungsleersten Räume Europas führte. An der Südküste und im „Golden Circle“ standen zudem land- und fischereiwirtschaftlicher Strukturwandel und touristische Schwerpunkte der isländischen Ökonomie im Vordergrund. Die Auswirkungen massiver Internationalisierung und Globalisierung sind hier offensichtlich – und führten im letzten Jahrzehnt zu tiefgreifenden Transformationsprozessen. Eine der Folgen ist die Entstehung der städtischen Konzentration im Großraum Reykjavik – die mit erheblichen sozio-ökonomischen Überformungen einhergeht.

Während sich die meisten ausländischen Reisenden auf den „Golden Circle“ und die – die Insel umrundende – Ringstraße konzentrieren, wollten wir vor dem Hintergrund unserer inhaltlichen Ziele selbstverständlich auch ins Hochland. Die Auswahl der anzusteuernden Exkursionsstandorte fiel schwer, denn natürlich reichen vierzehn Tage nicht aus für ein vertieftes Profil. Soweit sich dies im Voraus planen lässt – denn die aktuellen Witterungs- und Wetterbedingungen erzwingen flexibles Umdisponieren –, legten wir als wichtigste Stationen der Exkursionsroute die folgenden Orte fest: Egilsstaðir - Hallormstaður - Herðubreið - Askja - Ódádahraun - Nyðalur - Sprengisanður - Landmannalaugar - Breidamerkurjökull - Skaftafell - Thorsmörk - Geysir – Gullfoss - Thingvellir – Reykjavik und Keflavik.

Die Exkursion begann am 23.8.2018 in Egilsstaðir und endet am 5.9.2018 am Flughafen Keflavik. Zwecks Kostenersparnis und angesichts der Tatsache, dass einige in Island sehr teure Lebensmittel bei Anreise über den Seeweg mitgebracht werden dürfen, reiste ein Teil der Gruppe über die Färöer-Inseln an. Da die Lebenshaltungskosten auf Island extrem teuer sind, wählten wir Zeltunterkunft und Selbstversorgung.

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  • Gruppenbild auf einer Wanderung durch die Laki © Benjamin Hennig
  • Ein Gruppenbild in der Sonne in Landmannalaugar © Frauke Kraas

Die Exkursion hatte, das war uns allen von Beginn an klar, über weite Strecken Expeditionscharakter. Voraussetzung für die Teilnahme waren deshalb Teamgeist, gute körperliche Kondition sowie die Bereitschaft, mit einem Minimum an Infrastruktur (z.B. einfachste Sanitäranlagen, an mehreren Tagen ausschließlich kaltes Wasser und keine Duschmöglichkeiten) auszukommen und sich jeden Tag an gemeinsamen Arbeiten für die Gruppe zu beteiligen. Die Übernachtung erfolgte zu zweit in Zelten. Mehrstündige Wanderungen und unvorhersehbare Witterung erforderten die Mitnahme einer Grundausstattung an geeigneter Kleidung (gegen Regen, Schnee und Kälte) sowie adäquates Schuhwerk und Schlafsack (mit Komfortbereich bis minus 10 Grad Celsius). Eine erfolgreiche Teilnahme am Vorbereitungsseminar war obligatorisch.

Vor uns lagen zwei Wochen gemeinsamer Arbeit in Island – und wie so oft: Es kam Einiges anders als erwartet und erhofft …. Vieles aber übertraf jegliche Erwartung! Am Ende konnten wir sagen: Ein intensives, durchaus teils auch ziemlich kräftezehrendes Programm, schwierige Wetterbedingungen, teils sehr lange Tage und Nächte, definitiv ein hohes Maß an Einsatz und Flexibilität. Inhaltlich konnten wir alle gesteckten Ziele erreichen – und viel mehr, was meist nicht ausdrücklich in den Lehrplänen benannt ist: Verständnis für eine durchaus sehr andere Gesellschaft innerhalb Europas, für besondere Bedürfnisse und Prioritäten im Peripherraum, somit für unterschiedliche Sichtweisen und Rahmenbedingungen unserer verschiedenen Gesellschaften! Viele tiefergehende, unmittelbare Erfahrungen kann man eben nur sammeln, wenn man sich auf Reisen begibt. …

Wir erlebten das große Privileg einer außerordentlich resilienten, flexiblen, arbeitswilligen und harmonischen Gruppe, die im Laufe der Reise beeindruckend zusammengewachsen ist. Nicht nur die gemeinsamen Erfahrungen schweißen zusammen! Dass der vorliegende Exkursionsblog allein aus dem freiwilligen Einsatz der gesamten Gruppe entstanden ist – DANKE an alle!! –, spricht eine beredte Sprache! Dass er so professionell und liebevoll umgesetzt und gestaltet wurde, verdanken wir speziell Merit Koch und Dorina Kley – dafür ganz herzlichen Dank!

Und nun, nach der Exkursion, wie geht es weiter? Mehrere Nachtreffen, mit Fotos, Skyr und Lakritz sowie bleibender Austausch führen die Exkursion fort. Auch entstand schon eine Masterarbeit zu Island. – Ob sich aus einer neuen, Island gewidmeten Vorlesung in Zukunft auch eine nächste Exkursion entwickelt, wird sich weisen … 

Frauke Kraas