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Island, vor 37 Jahren …

Der Geysir ganze Millisekunden vor dem Ausbruch (Bild stammt von der Exkursion 2018) © Merit Koch

9. Juli 1981: „Reisepass, Schlafsack, Wanderstiefel, Kartentasche, Regenhose, Taschenmesser, kleine Schachteln und Tütchen für Gesteinsproben, Postsparbuch …“ und ein schmales blaues Buch „Geologenfahrten in Island“ im Gepäck. 15.25 h Ortszeit Landung in Keflavik. Nach ersten Erkundigungen zu Fuß durch Reykjavik stand im Reisetagebuch: „erstaunlich viele Buchhandlungen, jedes dritte Geschäft mit Wollsachen, Lebensmittel teuer“, und „das heiße Wasser aus dem Kran schmeckt nach Schwefel“. Vor mir lag eine Umrundung Islands über die Ringstraße ("Hringvegur"). Nach Übernachtung in Reykjavik (was heißt schon „Nacht“ am Polarkreis?) ging es Richtung Norden, zur Walfangstation in der Bucht von Hvalfjörður. Zu meinen bleibenden Erinnerungen gehören Bilder von einem teilweise ausgeweideten Finnwal im Schlachtbecken – und: „ein widerlicher, ehrlich abscheulicher Geruch“. Tags drauf notierte ich, dass die Inflationsrate 1980 angeblich bei 45% gelegen habe und Walfang zu den lukrativen Beschäftigungen gehörte.

Einige Tage später: Hinter Akureyri stundenlange Fahrt durch eine Sandwüste, durch die der Wind fegte. Per Flugzeug wurden Grassamen ausgesät, und der folgende kräftige Regen schien günstige Bedingungen für ihre Keimung zu bieten. Abends auf dem Zeltplatz, zum Glück im neuen Islandpulli (der meine Ersparnisse, mühsam durch Nachhilfeunterricht gesammelt, nahezu aufgezehrt hatte), gab es zum zigsten Mal Lammfleisch und Kartoffeln, immer abwechselnd mit Fisch. Drei Kronen entsprachen damals etwa einer Deutschen Mark – und bei der Wahl, 10 Kronen für eine Tafel Schokolade auszugeben, 12 für Kekse, 8 für einen Kaffee, oder 80 für einen Diafilm (eigentlich hatte ich schon ziemlich viele von Zuhause mitgebracht!), war klar, dass es keine Schokolade in den nächsten Wochen geben würde. Die ständig wechselnden Farben der herrlichen Landschaften hatten es mir angetan. Selbst als der Bus im strömenden Regen eine Panne hatte (besagter „highway“ war über weite Strecken noch ein „lowway“), wurde man durch die Umgebung entschädigt. Pitschnass und völlig verfroren war abends allerdings besser keine Übernachtung im Zelt angesagt, sondern es fand sich ein trockener Unterschlupf auf der Bühne der Aula einer Internatsschule (30 Kronen, Heizung inklusive). Einer der isländischen Lehrer schwärmte von seiner Reise nach Europa – begeistert besonders von unseren Wäldern!

Tief beeindruckt haben mich die Krater des Myvatn und die Solfatarenfeld von Namaskard – alles lag frei zugänglich, offen für jeden Zutritt. Nur der Busfahrer wies darauf hin, dass es ratsam sei, den Wasser und Schwefel „speienden“ Fumarolen und Solfataren, den Rändern der blubbernden Schlammbecken und auch den sehr hellen Bereiche des Bodens besser nicht zu nahe zu kommen, es hätten sich schon einige Besucher beim Einbrechen in die unter dem Boden befindlichen Hohlräume die Füße verbrüht.

Auf den langen, einsamen Fahrten begegnete man immer wieder großen hölzernen Gestellen – zum Trocknen von Dorsch, Stockfisch für den Export nach Nigeria. So etwas rühre man in Island nicht an, erfuhr ich. Trockenfisch hingegen sei etwas anderes: Hier werden Filets getrocknet, für den Winter in Island. Überhaupt, Fisch, ständig und überall, in allen Darreichungsformen. Den Campingplatz nahe dem Hafen von Höfn fand man spielend ohne Karte – nur der Nase nach, schon Kilometer im Voraus. Die praktische Großpackung frischen Fischs für Fischers Fritz zum Mitnehmen gab es dort zur Abwechslung mal etwas günstiger. Vorratshaltung schien mir selbst im Sommer vernünftig: Lokale Versorgungsgüter gab es nur gelegentlich in kleinen Ortschaften und an Tankstellen, und tonnenweise (teure) Kekse und Kaugummi aus den USA.

Regen, Kälte, Nebel, Kälte, Regen – und Neuschnee (auf dem Gletscher) – wechselten sich ab, mitten im Juli. Ein Gang auf den Breidamerkurjökull im Süden war deshalb selbst mit ortskundiger Begleitung zu gefährlich. Immerhin befand sich am Gletscherrand laut meinem blauen Buch eine schöne Fundstelle von Obsidian – er funkelt noch heute in meinem Setzkasten. Am nächsten Morgen kam im Zelt nur dumpfes Licht an, und irgendetwas zerrte und zuckelte. Erdbeben? Schafe scharrten zum Grasen den Schnee weg, der sich über Nacht auf die Landschaft gelegt hatte, und sie knabberten an den Zeltleinen. Regen und Wind blieben treue Begleiter. Aber am Jökulsarlon im Vorfeld des Vatnajökull, gefüllt mit tausenden Eisbergen, einer schöner und tiefblauer als der nächste, riss der Himmel auf und tauchte die einmalige Landschaft in strahlende, tief leuchtende Farben. Die Reisenden in den wenigen Fahrzeugen, die nahe der kleinen Holzhütte parkten, verliefen sich in der Weite des Gletschervorfelds. Zuerst schien sich eine unglaubliche Stille auszubreiten, doch dann nahm man neben Wind und Möwen ein Knistern, Tropfen, Platschen, Gurgeln, Schaben, Scharren wahr – in den Eisbergen und durch die Reibung dieser Eisriesen aneinander. Das aus dem Gletscher strömende Wasser bewegte Kiesel und Sand. Am Abend wieder Regen, der die Pegel anstiegen ließ. Tage später tauchte in der kleinen, einsamen Hütte an der Thorsmörk ein Hamburger Lehrerehepaar auf, dessen Lada im Fluss steckengeblieben und voll Wasser gelaufen war; Schlafsäcke und Kameras befanden sich immerhin auf dem Dachgepäckträger, und ihre Steinesammlung.

Geysir – davon war ich schon im Erdkundeunterricht fasziniert. Die Sache mit der Säule, den Luftblasen und dem emporschießenden heißen Wasserdampf: kapiert. Doch nun live, Warten darauf … bis sich das in den Schlund fließende Wasser nach einem Ausbruch wieder sortiert, bis sich erst leicht, dann strammer, zuletzt zum Zerreißen gespannt die Wasserkuppel formiert – um im Bruchteil einer Sekunde zu explodieren und in die Höhe zu schießen! Der Campingplatz befand sich direkt daneben – der Abend war gerettet, „Nahsehen“ aus dem Schlafsack solange das Tageslicht reicht (ohne Schokolade, mit je Film nur 36 Bildern).

Am Ende der Reise Fahrt nach Heimaey. Ich erinnere mich noch sehr genau an die Bilder des Ausbruchs des Eldfell im Januar 1973 – damals hatten wir Zuhause gerade (wegen der Olympiade 1972 in München) einen Farbfernseher bekommen und fassungslos fasziniert mitverfolgt, wie hunderte Feuerwehrleute die Stirn des glühenden Lavastroms aus großen Spritzen mit kaltem Meereswasser zum Erstarren brachten und dadurch die Hafeneinfahrt retten konnten. Von den steilen Flanken der Felsen und des Lavastroms flatterten 1981 abertausende von Papageientauchern, wie ich sie auch an den Steilküsten von Tjörnes gesehen hatte. Eine Delikatesse seien sie, sagten die isländischen Fischer …

Mein Vater hatte bei Martin Schwarzbach in Köln studiert. Bei jedem Familienausflug war der Geologenhammer dabei. Ein Geologe brauche, so wurde Schwarzbach immer wieder einmal zitiert, eigentlich nur eine einzige Reise zu unternehmen, die nach Island. Das hatte mich neugierig gemacht. Meine erste Reise nach Island schenkten mir meine Eltern zum Abitur. Im Laufe vieler weiterer, darunter später die Leitung von bisher vier Großen Exkursionen, 1997, 2001, 2009 und 2018, erweiterte sich der Blick auf die Dimension von Zeit und Veränderung: Island hat sich mächtig verändert. Einsame Landschaften … es war einmal …

Frauke Kraas