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05: Vielschichtige Regionalentwicklung im Nordwesten Thailands: Wechselvolle Geschichte, ethnische/sprachliche Diversität – und die Hilfe der Königsprojekte

Vielschichtige Regionalentwicklung im Nordwesten Thailands: Wechselvolle Geschichte, ethnische/sprachliche Diversität – und die Hilfe der Königsprojekte

Der Nordwesten Thailands ist gekennzeichnet durch das Vorkommen mehrerer Gebirgszüge als südliche Ausläufer des Himalaya-Gebirges. Im westlichen Thanon Thong Chai-Gebirge befindet sich der Doi Inthanon, mit 2.565 m der höchste Berg Thailands. In den Gebirgen entspringt eine Vielzahl von Flüssen, die Richtung Süden, Nordwesten bzw. den Nordosten entwässern. Die Flüsse Ping, Wang, Yom und Nan fließen (von Westen nach Osten) in den Süden Richtung Golf von Thailand und formen ab der Provinz Nakhon Sawan den Maenam Chao Phraya. Charakteristisch für den Nordwesten sind zudem große Waldareale, die allerdings abholzungsbedingt in den letzten Jahrzehnten flächenmäßig stark rückläufig sind.

In den neun Changwat („Provinzen“) des Nordwestens leben etwa 6,3 Millionen Einwohner, weniger als 10 % der Gesamtbevölkerung Thailands. Während die anderen Landesregionen homogener sind, ist der Nordwesten ethnisch und linguistisch stark fragmentiert. Es dominiert das kam müang (Nordthai), das von bis zu 6 Millionen Menschen gesprochen wird (Ethnologue 2023 I). Zwar bilden die Tai Yuan (Nordthai), die zusammen mit Lao, Shan, Thai und Tai Lü als Vertreter der Tai-Kadai-Gruppe etwa 80 % der Gesamtbevölkerung im Nordwesten ausmachen, eine ethnische Mehrheit, jedoch konzentrieren sich hier ebenfalls ethnische Gruppen anderer Sprachfamilien (Grabowsky, 2010) Zu diesen gehören Mon und Berg-Mon-Khmer als Vertreter der Mon-Khmer-Gruppe (Austroasiaten) sowie Karen, Lisu und Lahu als sino-tibetische Vertreter. Eine Besonderheit im Nordwesten stellen zudem die teils unter dem umstrittenen Begriff „Bergvölker“ zusammengefassten Ethnien, die vor allem in den gebirgigen Grenzregionen leben, dar (Grabowsky, 2010; Sudsandee et al., 2020). Der Begriff wurde in der Vergangenheit oft verwendet, um diese verschiedenen Bevölkerungsgruppen auf Basis ihres Siedlungsraums als eine Gruppe zusammenzufassen; hierzu wurden neben Karen zudem Lisu, Lahu, Akha, Lawa, Yao und Hmong gezählt. Aber alle haben sehr eigenständige Indigenitäten, oft ganz eigene Sprachen, Werte und Normen (Leepreecha & Meixi, 2019), weshalb man dieser Vielfalt mit nur einem Begriff unrecht tut.

Die Geschichte zeigt, dass der Nordwesten bereits in der frühgeschichtlichen Phase zu Zeiten von Hariphunchai, mit dem Zusammenleben verschiedener Ethnien wie Mon und Tai Yuan eine diversifizierte Gesellschaft aufwies. Die Migration und Aufspaltung der Tai-Völker nach und in Südostasien bewirkte, dass die ethnische Vielfalt weiter voranschritt. Fließende Übergänge und Abstufungen von Machtbereichen in einem hochdynamischen Sozialgeflecht begünstigten die kulturelle Heterogenität in der Region zusätzlich. Nicht vergessen werden darf die bedeutsame geostrategische Lage Nordwestthailands sowie die Stellung als prosperierender Handelsstandort im Grenzgebiet verschiedener späterer Nationalstaaten.

Der Nordwesten Thailands gilt laut Grabowsky (2010) ferner als regionales Musterbeispiel der Transformation Siams zum Nationalstaat. Die Fürstentümer des alten Lan Na-Reiches blieben als Vasallen bis Mitte des 19. Jahrhunderts innenpolitisch eigenständig. Der 1855 abgeschlossene Bowring-Vertrag wurde dann mit dem ersten Chiang Mai-Vertrag 1874 auf den Nordwesten ausgedehnt; für die Einhaltung dieses Handelsabkommens wurde ein siamesischer Hochkommissar in Chiang Mai stationiert, womit Siam seinen Einfluss auf Lan Na durch die Etablierung dieser zunehmenden Kontrollfunktion sicherte (Grabowsky, 2004). Der zweite Chiang Mai-Vertrag von 1883 dehnte mit dem Schutz britischer Kaufleute die Kontrollfunktion Siams im Nordwesten weiter aus (Wyatt, 1995). 1889 wurde das alte Lan Na durch Gründung des Verwaltungsbezirks Nordwest (monthon phayap) in den Zentralstaat integriert. Die Region wurde in sieben Provinzen, bestehend aus den fünf alten Fürstentümern Chiang Mai,  Lamphun, Lampang, Nan und Phrae sowie neu dazukommend Chiang Rai und Mae Hong Son, unterteilt (Bunnag, 1977).

Neben zunehmender „Thaiisierung“ verfolgte die Regierung aktiv eine Strategie der Völkereinigung; der Gebrauch der Dhamma-Schrift und des kam müang wurde untersagt (Grabowsky, 2004). Die Anerkennung kultureller Unterschiede war lange ein Tabuthema. Zudem stellen die Ländergrenzen bis heute eine große Herausforderung für die verschiedenen Bevölkerungsgruppen dar.

Während der Exkursion konnten wir nachdrücklich erfahren, wie sehr die Traditionen und kulturellen Praktiken innerhalb der ethnischen Gruppen heute wieder gepflegt und gewünscht werden. Es wurde deutlich, wie stolz und glücklich die Menschen sind, lang erhaltene Traditionen heute wieder aufleben zu lassen und uns als ihren Gästen die eigene Kultur näher zu bringen.

Einen erheblichen Beitrag zu Regionalentwicklung und zur Verbesserung der Lebensqualität der Einwohner in den Bergregionen leisten die sog. Königsprojekte. Diese werden durch die Royal Project Foundation geleitet, eine nicht-profitorientierte Organisation, die unter König Rama IX., Bhumibol Adulyadej, 1969 gegründet wurde. Während sie sich in den Jahren nach der Gründung zunächst auf die Substitution von Mohnanbau durch ertragreiche landwirtschaftliche Alternativen konzentrierte, stehen heute eine umfassende ländliche Entwicklung und die Verbesserung der Lebensgrundlagen sowie der Schutz der Wald- und Wasserressourcen im Vordergrund. Beteiligt sind neben nationalen Universitäten und Spezialisten auch zahlreiche internationale Unterstützer. Der regionale Fokus der heute 38 Entwicklungszentren, in denen fast 5000 Projekte zusammengefasst werden, liegt in den Nordwestprovinzen von Chiang Mai, Chiang Rai, Mae Hong Son, Lamphun und Phayao. Zunehmend wird auch der Tourismus als Entwicklungschance eingebunden.

Auf unserer Exkursion hatten wir das große Glück, in Mae Hong Son mehrere Königsprojekte kennenlernen zu können, die sich auf die Verbesserung der Qualität und Vermarktung landwirtschaftlicher Produkte (Reis, eine Vielzahl von Früchten, Tee und Kaffee, aber auch Schafzucht) sowie verschiedenster handwerklicher Traditionen (Web- und Stoffwaren sowie traditionelle Haushaltsgegenstände) konzentrierten. Auch der Schutz der Biodiversität des Waldes und von lokalen Wasserressourcen, einschließlich traditioneller Abwehrmaßnahmen gegen Überschwemmungen, wurde uns eindrücklich gezeigt. Die Gastfreundschaft, mit der unsere Gruppe in verschiedenen Projekten begrüßt wurde, war beeindruckend – und wird allen in bester Erinnerung bleiben!

Frauke Kraas, Andreas Peffeköver