Pferdesport in St. Moritz – oder auch: das Leben (eines quantitativ Forschenden) ist kein Ponyhof
St. Moritz ist aus vielerlei Gründen international als Tourismusdestination bekannt. Wer allerdings glaubt, dass dies nur an den Sportangeboten, dem Einzelhandel oder der Hotellerie liege, der hat aufs falsche Pferd gesetzt. Denn diverse Pferdesportevents locken jährlich mehrere zehntausend Menschen in das alpine Dorf und sorgen für internationale Wahrnehmung der ca. 5.000 Einwohner fassenden Gemeinde. Doch bevor ich das Pferd von hinten aufzäume, erkläre ich besser kurz den Ursprung des Ganzen.
Seit Mitte des 19. Jahrhundert wird St. Moritz aufgrund einer überlieferten Wette zwischen Johannes Badrutt und englischen Sommergästen international als Wintertourismusdestination wahrgenommen (diese Legende ist bis heute nicht verifiziert – vielleicht erzählen die auch einen vom Pferd). Die einzige Option damals nach St. Moritz zu reisen war, vor dem Anschluss an das neu installierte Netz der Rhätischen Bahn im Jahre 1904, die Postkutsche (Rhätische Bahn). Die Reisezeit von Chur nach St. Moritz betrug zuvor mit dem Hafermotor ca. 12 - 14 Stunden und wurde durch das Dampfross auf ca. 4 Stunden verkürzt (Kraas/Spohner 2023: 46). Eine Reise mit dem Drahtesel (das Rennpferd des „armen Mannes“) war aufgrund des Terrains (insbesondere bei Tiefschnee) wohl eine noch weniger praktikablere Option. Selbst wenn man nach einer langen, beschwerlichen Reise mit der Postkutsche angekommen war, war der Transport vor Ort ebenso pferdebasiert, wie z.B. anhand der Maloja-Rössli-Tram ersichtlich wird (Kulturarchiv Oberengadin 2015).
Doch bevor ich mich hier in der Historie vergaloppiere und noch länger darauf herumreite, springe ich mal wieder in die Moderne.
Heutzutage hat sich das Pferd, wie fast überall, von einem Arbeitsgerät hin zu einem Sport- / Freizeitgerät gewandelt und ist bis auf die Verwendung im Kutschbetrieb auch in St. Moritz fast ausschließlich in dieser Funktion vorzufinden. So gibt es neben den Kutschen nur noch ein paar Mustangs und Pferde aus Maranello im Straßenbild (Stiere aus Sant'Agata Bolognese waren auch präsent). So ist das Pferd zentraler Akteur bei diversen Veranstaltungen wie dem White Turf (Pferderennen), Snow/Summer Polo und beim Concours Hippique (Springreiten), wodurch es jährlich mehr als 70.000 Besucher nach St. Moritz lockt und starke Sekundäraffekte für Hotellerie, Gastronomie etc. verursacht. Ob der Pferdesport allerdings ein Steckenpferd von St. Moritz ist, bleibt abzuwarten.
Während unseres Aufenthalts hatten wir das Glück, gleich zwei dieser Veranstaltungen wahrnehmen zu können, zum einen das Summer Polo und zum anderen den Concours Hippique, welche beide auf der Polowiese im Süden von St. Moritz am Kempinski Hotel stattfanden.
Ohne trabenden Untersatz ging es also auf Schusters Rappen zur Polowiese. Und auf halbem Wege auch nochmal zurück, denn die Speicherkarte für die Kamera hatte ich in der (wie vom Gemeindepräsidenten mehrfach betont) schönsten Jugendherberge der Schweiz vergessen. Was man nicht im Kopf hat, muss man halt in den Beinen haben. Bedeutet konkret, die Hufe schwingen und Sporen geben. So kam ich erst an, als die Spiele für den Tag bereits gelaufen waren. Immerhin war es möglich, mit Fotos die Anlage zu dokumentieren und später auf einer Übersicht zu skizzieren sowie erste Gespräche zu führen.
Am nächsten Tag ging es nach der Besprechung mit der Gruppe dann wie vom Hafer gestochen zurück zur Polowiese, denn um 12 Uhr ging es mit den Spielen weiter. Vorher wirkten einige Pferde auch noch nicht ganz wach, zumindest haben manche ein langes Gesicht gemacht.
Während der letzte Spieltag beim Summer Polo Cup lief, hatte man nie den Eindruck, dass jemand auf hohem Ross sitzt (sind ja auch spezielle Poloponys) und so spielten sechs Teams mit jeweils drei Spielern und wechselnden Pferden fair um den Pokal. Zwischen den Spielen können Zuschauer die von den Hufen der Pferde losgetretenen Rasenstücke wieder in die Oberfläche einmassieren oder natürlich (noch viel besser) sich die Zeit nehmen, um unsere ausgelegten QR-Codes einzuscannen und einen Beitrag zu unserer quantitativen Forschung zu leisten.
Das Erreichen einer statistisch auswertbaren Menge an Fragebögen sollte auch zu großen Teilen meine Zeit vor Ort füllen, da sich in den folgenden Tagen herausstellte, dass eine zufriedenstellende Rücklaufquote verflixt schwierig zu erreichen ist. So hat man sich tagtäglich mit QR-Codes bewaffnet auf den Weg in die Innenstadt und um den St. Moritzersee gemacht, um im Kundengespräch der notwendigen kritischen Befragtenmasse näherzukommen. Dabei traf man unweigerlich früher oder später auch auf andere Studierende der Universität zu Köln, mit denen man dann um die „Kundschaft“ konkurrierte. Doch aufgrund der tollen gegenseitigen Unterstützung der Gruppe hat man auch von anderen Studierenden QR-Codes mitnehmen und, wann immer es passte, auch verteilen können, sodass kein „Kunde“ verschont blieb. Es hat also wenig Zweck gemacht uns aus dem Weg zu gehen, außerdem gibt es die QR-Codes doch gratis (nem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul). Die Worte müssen im Gespräch allerdings sorgfältig und mit moderater Geschwindigkeit (immer sachte mit den jungen Pferden) gewählt werden und es empfiehlt sich, bald die Schlagworte Forschung und Universität fallen zu lassen, da der bloße Begriff „Umfrage“ schnell die Pferde scheu werden lässt. Aufgrund des teils sehr wechselhaften Wetters musste man allerdings oftmals abwägen, ob es sich lohnt, heute Umfragen zu verteilen oder doch im Trockenen Interviews zu führen, sodass man häufig aus dem Stegreif entscheiden musste.
Nach einigen Tagen des Verteilens trat allerdings aufgrund der sehr geringen Rücklaufquote Ernüchterung ein, sodass man sich fragte, ob die quantitative Befragung wirklich das beste Pferd im Stall der Methoden ist und man nicht doch lieber Interviews führen sollte. Selbstverständlich ohne den Plan der Befragung zu verwerfen oder sich gar dagegen aufzubäumen. Das Gras auf der anderen Seite ist lediglich manchmal grüner. So konnten wir vor Ort bereits viele Interviews führen, und auch im Nachhinein stehen per Zoom noch einige Interviewtermine aus. Ein vor Ort getroffener und sehr hilfreicher sowie interessanter Interviewpartner war Gemeindepräsident Christian Jott Jenny, der den Eindruck erweckte, als könne man mit ihm Pferde stehlen. Ihn haben wir mit der ganzen Gruppe in der (wie nochmal erneut erwähnt) schönsten Jugendherberge der Schweiz interviewt.
Doch neben der Feldarbeit gab es auch hin und wieder Gelegenheiten, den (Gebirgs-)Raum näher zu erkunden und mit etwas Glück (Hufeisen sei Dank) den fantastischen Ausblick zu genießen (z.B. Muottas Muragl und Diavolezza). Öfters dachte man beim knapp 20 Kilometer weit reichenden Blick: Ich glaub’ mich tritt ein Pferd. Doch musste man diese Augenblicke teils sehr schnell nutzen, da die nächste Gewitterfront näherkam und man nicht als Blitzableiter fungieren möchte. Bei Unwettern ziehen mich keine zehn Pferde auf den Gipfel.
Ich hoffe, dieser Blog ist geradeso lang genug geworden (ein gutes Pferd springt schließlich nicht höher als es muss) und es war für Sie einigermaßen spannend. Falls nicht, können Sie ja Passagen überspringen, Sie haben die Zügel in der Hand!
Niklas Elverich
Quellenverzeichnis:
- Kraas, F. u. R. Spohner (2023): St. Moritz, Graubünden / Schweiz. In: Geographische Rundschau 1 / 2 – 2023, S. 44 – 51.
- Kulturarchiv Oberengadin (2015): Maloja, Malojapass, Murettopass. Online unter: http://search.kulturarchiv.ch/item/22020/ (abgerufen am 24.08.2023)
- Rhätische Bahn (o. J.): Geschichte. Seit 1889 faszinierend anders unterwegs. Online unter: https://www.rhb.ch/de/unternehmen/portraet/geschichte (abgerufen am 24.08.2023)