06: Immaterielles Kulturerbe: Urbanes Handwerk – Kupferwaren lokal und global
Zum urbanen Kulturerbe zählen das städtische Handwerk und Gewerbe, wovon es natürlich auch in Pune zahlreiche „Cluster“ gibt – die sich hier hauptsächlich auf die Herstellung von Waren aus Kupfer, Silber, Bambus und Flecht- bzw. Korbwaren konzentrieren. In der Kasbah Peth, dem ältesten Stadtviertel Punes, befinden sich mehrere Straßen, an denen man die teils in siebter Generation praktizierte Herstellung von Kupferwaren sehen kann. Der Seniorchef von „Revati Metal Craft“ demonstrierte uns die Herstellung von Waren im Detail ausführlich, wobei sehr deutlich wurde, dass urbanes Kulturerbe bei weitem nicht allein aus Tempeln, Gebäuden, Kunstwerken bzw. Gegenständen, die man anfassen kann (also dem sog. „materiellen“ Kulturerbe) besteht, sondern sehr vieles dem sog. „immateriellen“ Kulturerbe zugerechnet werden muss. Hierbei handelt es sich, gemäß gängiger UNESCO-Definitionen, um Wissen, Fähigkeiten, Traditionen, Praktiken und Ausdrucksformen, die zum einen mündlich oder schriftlich von Generation zu Generation weitervermittelt, tradiert, sich dabei immer wieder reproduziert oder auch verändert und verbessert werden. Zum zweiten zählen Handwerkstechniken und -traditionen, drittens Bräuche, Rituale und Feste dazu – wie wir beim aktuellen Navrati-Festival kennenlernen konnten. Viertens umfasst dies darstellende Künste (etwa Tanz, Musik, Theater oder Malerei), und fünftens werden auch traditionelles Wissen und Praktiken im Verhältnis zu Natur und Kosmogonie einbezogen.
Am Beispiel der Kupferwarenherstellung konnten wir eindrucksvoll erfahren, wie dieses immaterielle Kulturerbe handwerklicher Praktiken in Pune eingesetzt und tradiert wird. Der Chef hat sich netterweise die Zeit genommen und uns nicht nur das Handwerk und die Unternehmensführung enthusiastisch gezeigt, sondern anhand einer Live-Vorführung auch die tatsächliche Herstellung eines seiner Produkte (das wir später als Souvenir erwerben konnten) demonstriert. Hierfür wird aus einer einfachen Kupferplatte zunächst ein Rohling grob mit einer Blechschere ausgeschnitten. Danach wird dieser lose auf einer Drechselbank gegen den sich mitdrehenden Reitstock eingespannt und bei Drehung mit Kontakt mit einem Holzstück zentriert. Nachdem die Platte dann festgespannt wurde, konnte sie mit Fett eingestrichen und mit einem Stahlwerkzeug in Stabform durch das Kontern auf der Auflage umgeformt werden, sodass sie schlussendlich dem Formwerkzeug im Spannfutter entspricht. Danach wird noch der Rand abgestochen und schon ist das Werkstück (in unserem Fall eine Schale) geformt.
Damit diese später nicht durch Kontakt mit Sauerstoff reagiert und sich wie beispielsweise Kirchendächer oder die Freiheitsstatue grün färbt, wird sie zuerst chemisch behandelt und danach auf einem Schleifbock mit einem Stahlbürstenaufsatz poliert. Auf diese nun blank polierte Schale kann das Muster mittels verschieden geformter Hämmer (für verschiedene Muster) gebracht werden. Durch permanente Rotation, Konterung per Fuß und ohrenbetäubende Hammerschläge (die nicht nur von einem Angestellten stammen) in der Frequenz eines Kolibripulses entsteht dann das Muster, das in der Teelichtschale die Reflexionsflächen bildet, sodass diese bei platzierter Kerze in alle Richtungen wie eine Diskokugel Lichtstrahlen wirft. Zuletzt wird die Schale dann mit jahrzehntelanger Erfahrung und genormtem Drehmoment im Arm in die Form eines Auges gebogen.
Ein Produktionsprozess, der zwar von fernöstlichen Produzenten nachgeahmt werden könnte, doch das Unternehmen besticht eher durch das sehr kunstvolle Design und die Fähigkeit, flexibel Wünsche und Spezialaufträge von Kunden umsetzen zu können. CNC-Drehbänke mit angetriebenen Werkzeugen sucht man deshalb auch vergeblich, obwohl das Unternehmen diese tatsächlich für die Produktion bereits getestet hat.
Beeindruckend zu erfahren war speziell, in welcher Weise einige Handwerksbetriebe längst die megaurbanen Verbindungen aus Pune in die Welt – Europa, USA, Australien – nutzen, um die lokal hergestellten Produkte über Homepage und Internet interkontinental zu vermarkten, und mehr noch: das immaterielle Kulturerbe sogar in Lehrveranstaltungen internationaler Universitäten hineintragen. Einige Handwerker leiteten schon entsprechende Kurse in Übersee! Das zeigt auch das sehr internationale Gästebuch im Eingang, in dem wir uns bei Verabschiedung verewigen durften.
Niklas Elverich und Frauke Kraas