Thingvellir – ein besonderer Ort in Islands Geschichte
An einem weiteren Tag besuchten wir den Ort Þingvellir, 40 Kilometer östlich von Reykjavik. Dieser Ort spielt in der Geschichte der Besiedlung Islands eine wichtige Rolle. Die ca. 20.000 Menschen, die zum Ende des 1. Jahrhunderts auf der Insel lebten, waren noch nicht in Dörfern oder Gemeinden im heutigen Sinne organisiert, sondern es gab einzelne Höfe, die mit nahegelegenen Höfen Nachbarschaften bildeten. Ein entscheidender erster Schritt auf dem Wege zu einem geordneten Staatswesen erfolgte im Jahr 930 mit der Bildung des sogenannten „Alþing“ nach dem Vorbild der alten norwegischen Rechts- und Thingverbände. Das Alþing war eine Art Landesgemeinde mit oberster gesetzgebender und richterlicher, aber nicht exekutiver Gewalt und einem „Gesetzessprecher“, der die Gesetze verkündete. Die Treffen des Alþing fanden einmal im Jahr zum Mittsommer, das heißt Ende Juni, für die Dauer von zwei Wochen in Þingvellir statt.
Þingvellir befindet sich im Südwesten Islands und liegt am Nordufer des Þingvallavatn, Islands größtem natürlichen Binnensee. Dieser Platz wurde gewählt, da er für damalige Verhältnisse günstig an der Kreuzung verschiedener Wege zwischen dem bewohnten Küstenraum und dem unbewohnten inneren Hochland lag. Zudem war dort genug Platz, alle Menschen und ihre Pferde für die Dauer der Versammlung unterzubringen und zu versorgen. Die Versammlung war wie ein großes Volksfest, bei dem über Rechts- und Gerichtssprechung sowie Staatsverwaltungsfragen debattiert wurde. Diese Versammlung stellt damit eines der ältesten Parlamente der Welt dar. Heute stehen an diesem Ort die älteste Kirche Islands und fünf kleine Häuser, die als Sommerresidenz des isländischen Premierministers dienen. Das Parlament befindet sich heutzutage in der Hauptstadt Reykjavik. Für besondere Anlässe oder zu Jubiläen wird dieser geschichtsträchtige Ort aber auch heute noch gerne genutzt.
Zudem liegt Þingvellir inmitten einer Grabenbruchzone. An diesem Ort und im weiteren Umfeld wird das Auseinanderdriften der amerikanischen und eurasischen tektonischen Platten durch imposante Felsspalten und Risse sichtbar, vor allem an der Almannagjá-Schlucht (Allmännerschlucht). In den letzten 10.000 Jahren ist das Land beiderseits der Schlucht Almannagjá um 70 Meter auseinandergedriftet und der Talboden hat sich um ca. 40 Meter gesenkt.
Soenke Weber