Kuala Lumpur
Nach einem sehr verrückten Tag in den Malls und Casinos der Genting Highlands setzten wir unsere Reise nach Süden fort. Geschafft von den Eindrücken der bunten Reklametafeln, der blinkenden Automaten und lärmerfüllten Atmosphäre waren wir ziemlich froh, abends wieder im ruhigen Bus zu sitzen und dem brummenden monotonen Sound des Motors zu folgen, der uns sanft in den Schlaf massieren wollte. Über die gut ausgebauten Schnellstraßen fuhren wir bergabwärts in das sogenannte Klang Valley, in dem neben weiteren Zielen auch unser heutiges Tagesziel lag: die malaysische Hauptstadt Kuala Lumpur.
Je näher wir dieser Stadt kamen, desto stärker veränderte sich das Bild um uns herum. Dort, wo vorher noch eine ländliche Umgebung und bewaldete Hänge waren, ragten jetzt vereinzelt Wohnkomplexe hoch. Auch die Dichte der Bebauung nahm schlagartig zu. Der urbane Raum ließ sich zweifelsohne immer deutlicher erkennen.
Und während wir auf dem Highway die ersten Hochhäuser und massiven Wohnblöcke passierten und neugierig nach links und rechts schauten, ließ sich auf einmal in der Ferne inmitten der Betonlandschaft etwas Unglaubliches erkennen: zwei Türme mit identischem Aufbau und einer einzigartigen kunstvollen Architektur – die Petronas Twin Towers.
Doch so plötzlich sie auftauchten, verschwanden sie auch wieder zwischen den Betonblöcken. Bis wir sie wiedersehen würden, mussten wir uns noch etwas gedulden. Denn mit einer Einwohnerzahl von fast 2 Millionen erstreckt sich Kuala Lumpur nur auf einer Fläche von etwa 242 Quadratkilometern, was nur fast der Hälfte der Fläche Kölns entspricht! Dementsprechend war beinahe abzusehen, dass uns die Kehrseite der Urbanität irgendwann einholen würde. So rutschten wir geradewegs in den Feierabendverkehr und fanden uns in einem Stau wieder, der unsere Abenteuerlust ausbremste und nur so zäh voranging, dass man das Gefühl hatte, man würde sich überhaupt nicht mehr bewegen.
Langsam hatte auch der Sonnenuntergang eingesetzt und die vielen Lichter, Bildschirme und Leuchtreklamen um uns herum fingen an zu blinken und tanzen. Kuala Lumpur wirkte modern, progressiv und lebendig, wie eine waschechte Metropole. Als wir uns endlich aus dem Strom der Autos befreien konnten, fanden wir uns in der Downtown von Kuala Lumpur wieder. Auf einmal erinnerte die Umgebung mit ihren zahlreichen Wolkenkratzern, Glasfassaden, Banken und Finanzbüros an ein sommerliches New York oder Los Angeles. Was ein Kontrast zu unseren vergangenen Tagen im nebeligen Hochland mit seinen Teeplantagen und Regenwäldern!
Überraschend hielt der Bus plötzlich am Straßenrand an und langsam wurde uns klar, dass wir unser Ziel erreicht hatten und sich unser heutiges Nachtquartier mitten in der Downtown befinden würde. Als wir dann ausstiegen, erwischte es mich nochmal unerwartet mit voller Wucht: Wir standen unmittelbar unterhalb der Twin-Towers und ihre silberne Fassade glitzerte kristallartig im Nachthimmel der Metropole. Wunderschön. Sechs Jahre lang und über die Jahrtausendwende hinweg waren sie die höchsten Gebäude der Welt. So majestätisch wie sie hier vor uns emporragten, war unschwer zu erkennen, aus welchem Grund sie gebaut wurden: Als Symbol eines modernen, progressiven und internationalen Malaysia.
In unsere Unterkunft zu kommen, war dann nicht so leicht wie vermutet, denn an dem Pförtnerhaus zu unserem Appartementkomplex hingen zahlreiche Schilder mit eindeutigen Hinweisen wie „No AirBNB! Forbidden!“. Wir waren also nicht willkommen hier. Doch wir hatten keine Alternative zum schließlich vor Monaten gebuchten Quartier. Frau Kraas sprach mit den Vermietern und erläuterte uns anschließend den einzig möglichen Ablauf. In einer dubiosen Aktion wurden unsere Gepäckstücke mit Autos ins Parkhaus des Gebäudes gebracht, wir gingen ohne Gepäck in kleinen Gruppen an dem Pförtner vorbei und trafen uns dann im Parkhaus mit den „Schleusern“, die uns das Gepäck zurückgaben und dort Näheres erklärten. Wir waren zwar nicht willkommen in dem Gebäude, aber solange wir uns als normale Bewohner des Hauses tarnten sei alles in Ordnung – verrücktes Kuala Lumpur. Anmerkung von Frau Kraas: beim Buchen des Quartiers war keinerlei Hinweis auf solch dubiose Hintergründe erkennbar gewesen.
Die nächsten Tage in der Stadt verbrachten wir vor allem mit Prof. Dr. Lee Boon Thong, einem ehemaligen Geographieprofessor der University of Malaya, der uns sehr viel zur Entstehungsgeschichte der Stadt erzählen und uns interessante Einblicke in die diversen Stadtteile geben konnte .Auch Professorin Dr. Hong Ching (University of Malaya) begleitete uns und konnte als Expertin für "Urban and Regional Planning" wertvolle Erkenntnisse mit uns teilen
Kuala Lumpur präsentierte sich als ein Puzzle aus unterschiedlichen Ethnien und Kulturen, die auf eine Art parallel zueinander und dennoch vereint unter dem Dach dieser Stadt zusammenleben. Die Unterschiede zwischen den Stadtteilen waren dabei so stark, dass man teilweise das Gefühl hatte, innerhalb dieser einen Stadt durch verschiedene Länder zu reisen. Wir sprangen hin und her zwischen amerikanisch anmutenden Suburbs, chinesischen Malls, den indischen Brickfields und dem muslimischen Shah Alam und seiner Blue Mosque, der größten Moschee in Malaysia. Es wurde deutlich: Kuala Lumpur ist eine Stadt der Kontraste und das gleich auf mehreren Ebenen. Hier leben Malaien, Chinesen, Inder, arm und reich in alt und neu, historisch und modern. Obwohl das Stadtbild derartig kontrastreich ist, befindet sich alles räumlich so unmittelbar nah beieinander, sodass es sich stark miteinander vermischt. So ragt z.B. gleich neben der historischen Altstadt der gigantische Merdeka 118, das derzeit zweithöchste Gebäude der Welt, hervor - ziemlich surreal.
Als wir die Stadt nach drei Nächten wieder verließen, hatten wir ein volles Programm hinter uns und das Gefühl, viele verschiedene Winkel dieser vielseitigen Stadt kennengelernt zu haben. Die Tage in Kuala Lumpur haben sich selbst nochmal wie eine eigene kleine Reise durch die Kulturen angefühlt und uns gut mit Eindrücken gefüllt. Daher waren wir froh, die folgenden Tage im ruhigeren Malakka zu verbringen und genug Zeit zu haben, um alles Erlebte zu verarbeiten.
Jost Bruker