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Große Exkursion Indien 2020: Ziele

Taj Mahal © Frauke Kraas

Urbanisierungsprozesse in Nordindien: Delhi, Shimla, Chandigarh, Gurgaon, Agra, Varanasi, Bodhgaya und Kolkata“

Im Rahmen des Geographie-Studiums ist es üblich, dass Studierende im Rahmen einer Großen Exkursion zwei Wochen lang (zumeist ins Ausland) reisen, wo sie unter der Leitung sowie akademischen Begleitung ihrer Dozenten an verschiedenen Orten mit geographischen Schwerpunktthemen vertraut gemacht werden, teils auch kleine eigene Erhebungen (Kartierungen, Gespräche, Interviews) durchführen. Ziel ist es, dass sie jenseits von Vorlesungen und Seminaren – in denen es in erster Linie um Grundlagenwissen, forschungsbezogene Spezialkenntnisse und methodische Fähigkeiten geht – unmittelbar vor Ort mit geographischen Fragestellungen und Realitäten konfrontiert werden sowie eigene praktische Erfahrungen sammeln.

Exkursionen können einen eher übergeordneten, weiter gespannten thematischen und regionalen Rahmen (etwa: „Umwelt und Gesellschaft in Island“ oder „Physische Geographie Andalusiens“) haben oder sich auf spezialisierte Themen richten (etwa: „Urbaner Tourismus in Thailand und Myanmar“ oder „Ländlicher Raum Frankreichs“).

Dieses Mal hatte ich als Exkursionsziel acht große, teils Megastädte im Norden von Indien ausgewählt, um an ihrem Beispiel aktuelle Urbanisierungsdynamiken in schnell wachsenden Metropolen und Megastädten Indiens zu behandeln. Die historische Genese, funktionale Differenzierung, vor allem aber die aktuellen Probleme und Prozesse, die Rahmenbedingungen und Akteure der Öffnungs- und Transformationsprozesse zu erläutern. Gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Ursachen und Konsequenzen der zumeist globalisierten Urbanisierungsdynamiken wurden anhand ausgewählter Orte und Thematiken einbezogen.

Indien erlebt derzeit einen bemerkenswerten Öffnungsprozess, und so war es naheliegend, für die Exkursion – die forschungsorientierte Lehre zu den komplexen Realitäten im Land ermöglicht – eine Thematik auszuwählen, die sich mit dem aktuellen sozialen und ökonomischen Wandel befasst. Wir lehren in Vorlesungen und Seminaren Entwicklungsforschung, sprechen über Verstädterung und Migration, erläutern die Prozesse des Wandels in traditionellen Gesellschaften, illustrieren die sehr unterschiedlichen Entwicklungen in verschiedenen Regionen und erfahren dabei, dass und wie hier viele, oft völlig andere als die uns vertrauten Einflusskräfte wirken. Erst wenn man die Realitäten in Entwicklungsländern über einen längeren Zeitraum selbst erfährt, begreift man, wie unterschiedlich die Gesellschaften funktionieren: Dabei sind die andersartigen kulturellen und gesellschaftlichen Phänomene, Alltagspraktiken und Logiken nicht weniger komplex als bei uns, aber eben ganz anders …!

Nach knapp einem Jahr Vorbereitung, in denen die Konzeption der Exkursion von Beginn an interaktiv und partizipativ gemeinsam mit den Studierenden erarbeitet wurde und umfangreiche planerisch-organisatorische Schritte durchgeführt werden mussten, starteten wir Anfang März 2020 – mit individueller Anreise, denn einige wollten schon früher im Land erkundigen, andere noch anschließend durch Indien und Nachbarländer reisen.

Vor uns lagen zwei Wochen gemeinsamer Arbeit in Indien – und wie so oft: Es kam Vieles ganz anders als erwartet und erhofft ….

Wir begannen zuerst mit einem zweitägigen Intensivseminar am Geographischen Institut der Universität zu Köln, für das Hintergrundreferate vorbereitet worden waren. Offizieller Start war die Lobby eines Hotels in Karol Bagh/Delhi, die Ausgangsbasis von zwei Tagen Erkundung der indischen Hauptstadt. Anschließend ging es mit Zug und Autos über Chandigarh in die kolonialzeitlich zweite und Sommer-Hauptstadt, Shimla, mehr als 2500 m NN im Himalaya-Vorgebirge. Bei Temperaturen um den Gefrierpunkt, Regen und Gewittern – sowie kurzen Momenten mit Sonnenschein und Regenbogen – wurde Shimla gemeinsam oder in Gruppen zu Fuß erkundet. Es folgen – nach Fahrt mit dem Toy Train – zwei Tage Chandigarh, auch hier mit kleinen Gruppenarbeiten. Von dort führte die Route nach Gurgaon/Gurugram und Agra, und danach kam alles ganz anders …! Eigentlich wollten wir mit dem Nachtzug von Agra nach Varanasi reisen – Zugtickets und mehrere Schokolodentafeln lagen schon bereit. Nach kurzfristiger, Corona-Virus-erzwungener Rückreise nach Deutschland traten wir die Reisen nach Varanasi, Bodhgaya und Kolkata dann eben anders an – digital!

Ein intensives, durchaus kräftezehrendes Programm, kein Zweifel, doch ich bin sicher, dass wir alle gesteckten Ziele erreicht haben – und viel mehr noch, was meist nicht ausdrücklich in den Lehrplänen benannt ist: Verständnis füreinander, für unterschiedliche Sichtweisen, Prioritäten, Bedürfnisse und Rahmenbedingungen unserer so unterschiedlichen Gesellschaften! Tiefergehende, unmittelbare – einschließlich der kurzfristigen, ungeplanten Einblicke, Erfahrungen und Erlebnisse kann man Zuhause in Deutschland so nicht ansatzweise lehren und lernen – man erlebt sie nur, wenn man sich auf Reisen begibt. …

Frauke Kraas, 22.03.2020