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Große Exkursion Myanmar

„Kalaw, Inle Lake und Taunggyi: Sozio-ökonomische Entwicklungspotentiale“

Im Rahmen des Geographie-Studiums ist es üblich, dass Studierende im Rahmen einer Großen Exkursion (zwei oder drei Wochen lang) ins Ausland reisen, wo sie unter der Leitung sowie akademischen Begleitung ihrer Dozenten an verschiedenen Orten mit unterschiedlichen inhaltlichen Themen vertraut gemacht werden und auch selbst eigene Erhebungen (Kartierungen, Gespräche, Interviews) durchführen. Ziel ist es, dass sie außerhalb von Vorlesungen und Seminaren – in denen es ja in erster Linie um Grundlagenwissen, forschungsbezogene Spezialkenntnisse und methodische Fähigkeiten geht – in geographische Fragestellungen im Ausland eingeführt werden und selbst praktische Erfahrungen sammeln.

Ich hatte als Exkursionsziel Myanmar gewählt, das Land, über das ich seit fast 19 Jahren arbeite und meine Familie und ich zwei Jahre gelebt haben. Das Entwicklungsland erlebt derzeit einen bemerkenswerten Öffnungsprozess, und so war es naheliegend, für die Exkursion – die forschungsorientierte Lehre zu den komplexen Realitäten im Land ermöglicht – ein Thema auszuwählen, das sich mit dem aktuellen sozialen und ökonomischen Wandel befasst. Wir lehren in Vorlesungen und Seminaren Entwicklungsforschung, sprechen über Verstädterung und Migration, erläutern die Prozesse des Wandels in traditionellen Gesellschaften, illustrieren die sehr unterschiedlichen Entwicklungen in verschiedenen Regionen und erfahren dabei, dass und wie hier viele, oft völlig andere als die uns vertrauten Einflusskräfte wirken. Erst wenn man die Realitäten in Entwicklungsländern über einen längeren Zeitraum selbst erfährt, begreift man, wie unterschiedlich die Gesellschaften funktionieren: Dabei sind die anderen kulturellen und gesellschaftlichen Phänomene, Alltagspraktiken und Logiken nicht weniger komplex als bei uns, aber eben ganz anders …!

Dies nun in Myanmar direkt zu erfahren, nämlich die wirtschaftlichen und sozialen Prozesse in dem Land, das sich derzeit nach etwa 60 Jahren Selbst-, später Fremdisolation öffnet, unmittelbar zu begreifen, das war Ziel. Konkret wollen wir verstehen und mit Hilfe eigener Erhebungen im Rahmen dieser Lehrforschung erarbeiten, welche wirtschaftlichen und sozialen Stärken und Schwächen sowie Potentiale in der Großregion Kalaw, Inle-See und Taunggyi vorhanden sind und wie man die Region nachhaltig weiterentwickeln kann.

Nach mehr als einem Jahr Vorbereitung, in denen die Konzeption gemeinsam mit den Kollegen aus Yangon erarbeitet wurde, zahlreiche Genehmigungen eingeholt und umfangreiche organisatorische Schritte durchgeführt werden mussten, starten wir am 20. September in Yangon: Vor uns liegen zwei Wochen gemeinsamer Arbeit und gemeinsamen Lebens mit myanmarischen Kolleginnen und Kolleginnen, Studentinnen und Studenten.

Wir beginnen zuerst mit einem zweitägigen Intensivseminar, für das die 21 deutschen und myanmarischen Teilnehmerinnen und Teilnehmer – sie kommen von den Universitäten Köln, Yangon, Mandalay und Taunggyi – jeweils zwei Hintergrundreferate vorbereitet haben. Anschließend geht es mit dem Nachtbus nach Kalaw, von wo aus wir während einer dreitägigen Wanderung (mit täglich zwischen 17 und 22 km Distanz) ein Profil durch eine der intensiv bewirtschafteten Agrarlandschaften Myanmars legen. Es folgen zwei Tage in der Touristenhochburg des Inle-Sees, und danach geht es für eine Woche weiter nach Taunggyi, wo Handel und Industrieproduktion die wirtschaftliche Basis der Hauptstadt des Shan-Staates darstellen. Hier werden die Lehrenden und Studierenden in gemischten deutsch-myanmarischen Gruppen eigenständig Kartierungen und Befragungen zur Potentialentwicklung durchführen. Außerdem setzen wir die begleitenden Referate und Diskussionen fort und führen die Erhebungen in sozio-ökonomischen Potentialanalysen zusammen. Nach erneuter Nachtfahrt zurück in Yangon, folgen zwei Tage Auswertungs- und Präsentationstage im Rahmen des Abschlussseminars.

Ein intensives Programm, kein Zweifel, doch ich bin sicher, dass wir alle gesteckten Ziele erreichen werden – und viel mehr noch, was meist nicht ausdrücklich in den Lehrplänen benannt ist: Verständnis füreinander, für die so sehr unterschiedlichen Sichtweisen, Prioritäten, Bedürfnisse und Rahmenbedingungen unserer Gesellschaften! Das kann man Zuhause in Deutschland so nicht ansatzweise lehren und lernen – dies erlebt man nur, wenn man sich auf Reisen begibt. …

Frauke Kraas, 19.9.2014